Das gesetzlich vorgesehene Verfahren bei Massenentlassungen wirkt auf den ersten Blick logisch und leicht umsetzbar. Bei genauerer Betrachtung – und das zeigt auch die Praxis – erweist sich der Ablauf des Verfahrens jedoch als schwierig. Da Verstösse gegen das vermeintlich klare Verfahren zu einer missbräuchlichen Kündigung führen und hohe Entschädigungszahlungen zur Folge haben können, wird eine saubere und frühzeitige Planung des Ablaufs empfohlen.
Als Massenentlassung gelten Kündigungen, die der Arbeitgeber innert 30 Tagen in einem Betrieb aus Gründen ausspricht, die in keinem Zusammenhang mit der Person des Arbeitnehmers stehen und von denen betroffen werden:
Eine Massenentlassung ist folglich erst bei einem Betrieb (Unternehmen können mehrere Betriebe haben, massgebend ist der einzelne Betrieb z.B. ein Fabrikationsstandort) möglich, welcher in der Regel 20 Mitarbeiter (Teil- / Vollzeit; Lehrlinge) beschäftigt und innert 30 Tagen (eine Staffelung der Kündigungen zum Zweck der Umgehung von Vorschriften über die Massenentlassung sind rechtsmissbräuchlich) mindestens 10 Mitarbeiter entlässt (als Entlassung gelten auch Änderungskündigungen).
ACHTUNG: GAV oder interne Reglemente können tiefere Schwellenwerte und/oder weitere Pflichten beinhalten. Konsultieren Sie also diese Unterlagen dringend.
Mit der konkreten Absicht (das bloss in Betracht ziehen reicht nicht aus) eine Massenentlassung vorzunehmen, werden die nachfolgend aufgezeigten Verfahrenspflichten ausgelöst.
Der Arbeitgeber muss die Arbeitnehmervertretung (und falls es eine solche nicht gibt, alle Arbeitnehmer) so früh wie möglich schriftlich über folgende Punkte informieren:
Der Arbeitgeber hat weitere zweckdienliche Auskünfte auf Anfrage der Arbeitnehmer zu liefern, die es den Arbeitnehmerschaft erlaubt, im Konsultationsverfahren (vgl. Ziffer III) verbesserte Lösungsvorschläge zur Verhinderung oder Abfederung der Massenentlassung zu präsentieren (z.B. Informationen zu Kurzarbeit, Pensionierungsmöglichkeiten, Coaching und Umschulungen, Verfügbare Mittel im Falle eins Sozialplanes).
Eine Kopie der Mitteilung an die Arbeitnehmer ist (gleichzeitig) an das kantonale Arbeitsamt zu senden (E-Mail ist zulässig, Einschreiben sicherer). Arbeitgebende, die in mehreren Kantonen Niederlassungen/Filialen betreiben, eröffnen in allen betroffenen Kantonen das Konsultationsverfahren und zeigen jede beabsichtige Massenentlassung schriftlich allen zuständigen kantonalen Arbeitsämtern an. Es lohnt sich, allfällige Merkblätter der kantonalen Arbeitsämter zur Massenentlassung durchzulesen, damit die verlangten Pflichten erfüllt und die richtigen Formulare/Unterlagen eingereicht werden (Merkblatt zur Massenentlassung des Arbeitsamtes Luzern).
Der Arbeitgeber gibt den Arbeitnehmern die Möglichkeit, Vorschläge zu unterbreiten, wie die Kündigungen vermieden oder deren Zahl beschränkt sowie ihre Folgen gemildert werden können. Dazu hat er ihnen möglichst viele und zweckdienliche Informationen zu geben. Bevor der Arbeitgeber sich also definitiv für die Massenentlassung entscheidet, soll der Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, sich mit eigenen Vorschlägen zur Abwendung von Kündigungen oder zur Milderung der damit zusammenhängenden Folgen zu äussern. Die Konsultation hat auf jeden Fall vor dem definitiven Entscheid über die Massenentlassung zu erfolgen.
Mit der Information an die Arbeitnehmerschaft (Ziffer I) beginnt die Konsultationsfrist. Wie lange diese Frist, innert welcher die Arbeitnehmer ihre Vorschläge präsentieren können, dauert, ist gesetzlich (im Gegensatz zu gewissen GAV) nicht festgelegt. Relevant ist die Komplexität, die Dringlichkeit, die Anzahl der Entlassungen etc. Bei komplexen Fällen ist eine Frist von 10-14 Tagen einzuplanen. Bei einfachen Verhältnissen sollten 5 Tage reichen. Auch sollte der Hintergrund der für die Massenentlassung verantwortlichen Krise berücksichtigt werden. Entsprechend rechtfertigt es sich wohl, die Dauer des Konsultationsverfahrens im Zusammenhang mit Covid-19 aufgrund der Dringlichkeit, rasch auf die unvorhergesehene Krise reagieren zu können, eher kürzer anzusetzen.
Zur Vermeidung von Unklarheiten in Bezug auf die Dauer der Konsultationsfrist, ist es sinnvoll, den Zeitrahmen für die Konsultation in der schriftlichen Mitteilung an die Mitarbeiter bereits festzuhalten.
Der Arbeitgeber muss die Vorschläge der Arbeitnehmer ernsthaft prüfen. Er ist an diese jedoch nicht gebunden. Ablehnende Entscheide sollte er begründen, will er bei den Arbeitnehmern nicht Misstrauen über die Ernsthaftigkeit der erfolgten Prüfung auslösen.
Nach Abschluss der Konsultation und der sorgfältigen und ernsthaften Prüfung der Vorschläge, kann der Arbeitgeber über die Massenentlassung entscheiden.
Der Arbeitgeber hat dem kantonalen Arbeitsamt den Entscheid über die beabsichtigte Massenentlassung schriftlich (mit rechtsgenügender Unterschrift) anzuzeigen und der Arbeitnehmervertretung bzw. allen Arbeitnehmern eine Kopie dieser Anzeige zuzustellen. Die Anzeige muss die Ergebnisse der Konsultation der Arbeitnehmervertretung (Vorschlägen, Stellungnahme und Begründung der Ablehnung) und alle zweckdienlichen Angaben über die beabsichtigte Massenentlassung enthalten.
Das kantonale Arbeitsamt sucht nach Lösungen für die Probleme, welche die beabsichtigte Massenentlassung aufwirft. Die Arbeitnehmervertretung oder, falls es keine solche gibt, die Arbeitnehmer können ihm ihre Bemerkungen einreichen.
Nach erfolgter Anzeige an das zuständige Arbeitsamt, können die Kündigungen ausgesprochen werden. Die anlässlich der Mitteilung an die Arbeitnehmer (Ziffer I) genannte Zahl der betroffenen Mitarbeiter darf durch die tatsächlich ausgesprochenen Kündigungen nicht überschritten werden.
Ist das Arbeitsverhältnis im Rahmen einer Massenentlassung gekündigt worden, so endet es 30 Tage nach der Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung an das kantonale Arbeitsamt, ausser wenn die Kündigung nach den vertraglichen oder gesetzlichen Bestimmungen auf einen späteren Termin wirksam wird.
Die Arbeitsverhältnisse enden somit frühestens 30 Tage nach der Anzeige beim kantonalen Arbeitsamt. Selbstverständlich müssen längere vertragliche oder gesetzliche Kündigungsfristen beachtet und eingehalten werden.
Ab Zugang der Kündigung entfällt eine allfällige Kurzarbeitsentschädigung. Allenfalls hat der Arbeitgeber Anspruch auf Schadenersatz, wenn ihm während der Kurzarbeit oder kurz danach gekündigt wird und der Arbeitnehmer der Kurzarbeit nur unter der Prämisse zugestimmt hat, dass ihm nicht gekündigt werde.
ACHTUNG: Eine Kündigung, die unter Verletzung der Vorschriften über die Massenentlassung – insbesondere ohne Anzeige an das kantonale Arbeitsamt – erfolgt, ist zwar gültig. Jedoch führt die Unterlassung dazu, dass die Arbeitsverhältnisse nicht gültig beendet werden und somit inkl. Lohnfortzahlungspflicht weiter dauern (BGE 132 III 406).
Spricht der Arbeitgeber Kündigungen im Rahmen einer Massenentlassung aus, ohne vorher die Arbeitnehmer oder ihre Vertretung zu konsultieren, kann die Kündigung als missbräuchlich angefochten werden (Art. 336 Abs. 2c OR). Die Kündigung ist gültig, jedoch ist eine Entschädigung geschuldet.
Wer gestützt auf die missbräuchliche Massenentlassung (Art. 336 und 336a OR) eine Entschädigung (max. 2 Monatslöhne) geltend machen will, muss gegen die Kündigung spätestens bis zum Ende der Kündigungsfrist beim Kündigenden schriftlich Einsprache erheben. Ist die Einsprache gültig erfolgt und einigen sich die Parteien nicht über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, so kann die Partei, der gekündigt worden ist, ihren Anspruch auf Entschädigung geltend machen. Wird nicht innert 180 Tagen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Klage anhängig gemacht, ist der Anspruch verwirkt.
Zudem hat die Verletzung der Meldepflicht gemäss Arbeitsgesetz (ArG) eine Busse von maximal CHF 40‘000.- zur Folge.